Das hört sich nach einer recht netten Reise durch Mitteleuropa an: Start war im Juni in der Nähe von Prag; weiter ging es im Sommer an einen hübschen bayerischen See, dann gab es noch einen Abstecher mitten in die Schweiz - und schließlich ging es wieder zurück nach Bayern, in die wunderschöne Stadt Landshut. Teilnehmerin dieser Reise im Sommer 2020 war die Lachmöwe „W 0 15“, oder, wie wir sie auch etwas zärtlicher nennen könnten: „Weronika“. (Wer einen besseren Vorschlag für einen weiblichen Vornamen osteuropäischen Ursprungs mit W hat, kann sich gerne melden.)
Woher wir das so genau wissen? Wegen der Beringung. Ebendiese wurde unserer Weronika am 14. Juni angelegt, auf einer kleinen Insel an einer Flußbiegung der Elbe bei Prag. Dort kommen jedes Jahr tausende von Lachmöwen zusammen, um als Paare ihre Eier auszubrüten und die Jungvögel großzuziehen; und dort kommen jedes Jahr so einige Vogelfreunde zusammen, um diese Jungvögel zu wiegen, zu vermessen und: zu beringen. All dies geschieht zu Forschungszwecken. Denn so können die Wissenschaftler von Jahr zu Jahr auswerten, wie dick oder dünn, groß oder klein die Lachmöwenjungen sind – und somit auch, ob das etwas mit Veränderungen im Umkreis der Kolonie zu tun hat: War der Frühling zu trocken, wurden Wiesen verkleinert oder gar das Gewässer verschmutzt? Durch die Ringe kann man dann die Lachmöwen und ihre Lebenswege weiter im Blick haben. Die Buchstaben- und Zahlenkombination ist individuell, deshalb also weiß man, dass es Weronika war, die sich diesen Sommer in Mitteleuropa herumgetrieben hat, denn Vogelbeobachter haben ihre Ring-Kombination immer wieder gemeldet: Bei ihrer Beringung bei Prag, dann am Echinger Stausee, dann am Zürisee und schließlich in Landshut.
Dort zum Beispiel hat Möwenexperte Philipp Herrmann sie gesichtet, und sich anschließend über ihre vorhergehenden Stationen kundig gemacht. Die ersten sind recht typisch für die tschechische Durchschnittsmöwe, also der Flug in Richtung Südwesten. „Die Lachmöwen sind Teilzieher“, erklärt Herrmann. „Es gibt etwa Vögel, die in Osteuropa brüten und den Winter in Bayern verbringen - und es gibt Vögel, die in Bayern brüten und den Winter in Südeuropa verbringen.“ Beliebte Winterquartiere sind also: Madrid und Landshut. Auf jeden Fall geht es immer in wärmere Gebiete; untypisch ist also, dass Weronika schon bis nach Zürich gezogen ist, dann aber wieder umdrehte und über 300 Kilometer zurück nach Landshut flog.
Warum sie das tat? Das bleibt leider ihr Geheimnis. „Vielleicht hat es ihr in der Schweiz nicht gefallen? Oder vielleicht hat sie einen Landshuter Möwerich kennengelernt?“, sagt Herrmann und lacht. „Man weiß es nicht.“
Nina Praun