Landshut war ihre offizielle Winter-Heimat, so viel kann man auf jeden Fall sagen. Jedes Jahr wieder kam die Möwe mit dem Ring Nummer „T30Y“, genannt „Tereza“, in die bayerische Stadt und verbrachte dort fröhliche (gut, das ist nur eine Vermutung) Wintertage an der Isar. Das kann man schwarz auf weiß nachlesen, in der Tabelle ihrer Aufenthaltsorte der letzten Jahre, die durch die Ringmeldungen von Vogelbeobachtern belegt sind: „Landshut, BAVARIA: NIEDERBAYERN, GERMANY“ steht da immer wieder. Auch dem Möwenexperten Philipp Herrmann war Tereza schon an Herz gewachsen, „weil sie eben diese Tradition entwickelt hatte, jedes Jahr mehrere Monate in Landshut zu verbringen“. Immer in der kalten Jahreszeit; die Sommer verbrachte sie dagegen gerne in Polen. Doch nun ist es Dezember, und bisher wurde sie noch nicht wieder entdeckt, erzählt Herrmann. Was das nun heißt? „Man weiß nicht, ob sie verstorben ist. Sie ist aber auf jeden Fall verschollen.“ Letzte Sichtung: im März in Budweis, Tschechien. Oh.
2011 wurde sie in Polen beringt, in ihrem „zweiten Kalenderjahr“, wie es offiziell heißt. Geboren wurde sie also 2010, und 2020 hat sie somit ihren zehnten Geburtstag gefeiert. „Das ist erstaunlich“, sagt Herrmann. „Das ist schon ein Alter für eine Lachmöwe, da hat sie schon einiges erlebt.“ Aus dieser Aussage kann man zwei Dinge heraushören. Erstens: Es ist unwahrscheinlich, dass sie noch lebt. Aber zweitens: Sie ist vermutlich nach einem langen, erfüllten Leben verstorben. Vielleicht ganz entspannt, an Altersschwäche? „Oder an einem Herzinfarkt“, sagt Herrmann. „Vielleicht sogar nachts auf einem See, unter ihren Freunden.“
Eine schöne Vorstellung, bei der wir gerne bleiben. Denn all die anderen Todesursachen der Lachmöwen sind nicht sonderlich romantisch: „Es holen sie Fressfeinde wie der Fuchs oder der Uhu“, erklärt Herrmann. „Oder sie sterben bei Verkehrsunfällen.“ Liegt etwa Fressen auf der Straße, achten die Lachmöwen oft nicht auf das Auto, das gerade heranbraust. Andere sterben, weil sie verletzt sind oder geschwächt, und so verhungern.
Doch Tereza wäre nicht ganze zehn Jahre alt geworden, wenn sie Uhus oder Autos unterschätzt hätte, da sind wir uns ganz sicher. Und vielleicht taucht sie ja doch wieder auf? „Wenn sie jemand meldet, dann werden wir es erfahren“, verspricht Herrmann. „Ich werde immer wieder nachschauen.“
Nina Praun