Seit vielen, vielen Jahren schon kennt Phillip Herrmann die Lachmöwen in seiner Heimatstadt Landshut, er hat sie als Kind erlebt, dann als jugendlicher Nachwuchs-Ornithologe, schließlich als studierter Naturschützer und als jahrelanger Gebietsbetreuer. Er weiß vieles über sie; hat in Büchern studiert, bei erfahrenen Ornithologen gelernt und die Vögel lange beobachtet - leider aber konnte er niemals die Möwen selbst nach gewissen Details befragen. (Nun, befragen schon, aber auf eine Antwort konnte er nicht hoffen.) Zum Beispiel nach ihrer Herkunft.
Herrmann also sah die Landshuter Lachmöwen jahrelang als genau das an: als Landshuter Lachmöwen. „Sie waren jeden Winter da, also dachte ich, sie kommen eben vom Stausee nebenan“, erzählt er. Klar wie Kloßbrühe eigentlich – wo auch sonst sollten sie herkommen? Darüber machte sich Herrmann eigentlich keine Gedanken. Bis er eines Tages einen Ring am Fuße einer Möwe entdeckte. 2016 war das, Herrmann erinnert sich noch genau. Es war ein kleiner Metallring mit Aufdruck, von weitem mit dem Auge nicht lesbar. Glücklicherweise war eine Kamera greifbar, also wurde der Ring sogleich fotografiert, zu Hause am Rechner größer gezoomt, und so konnte Herrmann den Aufdruck ablesen: „SBY5“ stand da. Ein Code? Oh ja, und über solche Codes wusste Herrmann glücklicherweise genau Bescheid, denn er hatte eine Zeit lang auf einer Beringungsstation in der Ostsee selbst Vögel beringt – eine Forschungsarbeit, die in Norddeutschland viel weiter verbreitet ist als bei uns in Bayern. Also gab er den Code in die passende Website ein. Dort stand der Beringungsort: Kroatien. Kroatien? Wie kommt denn diese Möwe aus Kroatien nach Landshut?, dachte sich Herrmann. Und wo kommen denn dann die anderen Möwen her?
Dieser Frage ist Herrmann seitdem auf der Spur. Er versucht, Möwen mit Ring zu entdecken, und sieht dann nach, woher die Herrschaften so kommen. Das Ergebnis: von überallher. Sie kommen aus Polen, aus Tschechien, aus Belarus, Litauen, Belgien, Spanien oder Ungarn. Und das beste daran: „Sie sortieren sich nicht“, sagt Herrmann begeistert. „Sie sitzen da alle durcheinandergewürfelt nebeneinander und sind ganz friedlich.“ Ja, nicht nur friedlich, sie halten auch zusammen, beim Wittern von Gefahr oder beim ruhigen Schlafen in der Nacht.
Das funktioniert offenbar einwandfrei. Man könnte also sagen: Möwen kennen keine Grenzen. Das ist doch mal etwas, was wir von ihnen lernen könnten.
Nina Praun